Die Wilden und die Barbarei

Lateinamerika. Analysen und Berichte Band 16

LIT Verlag Hamburg und Münster 1992 · ISBN 3-89473-333-0

(herausgegeben von D. Dirmoser, W. Gabbert, K. Meschkat, C. Müller-Plantenberg, U. Müller-Plantenberg, E. von Oertzen, M. Rediske und J. Ströbele-Gregor)

Inhaltsverzeichnis

Editorial: Die Wilden und die Barbarei 1

I Analysen 13

Lioba Rossbach

Flußabwärts und flußaufwärts - Schwarze und Indianer in der kolumbianischen Pazifikregion El Chocó 15

Wolfgang Gabbert

Vom Land der Mestizen zur multi-ethnischen Nation - Staatspartei

und Indianer im nachrevolutionären Mexiko 35

Erwin Frank

Geschichte und Utopie - Die indianistische Bewegung in Ekuador 54

José Bengoa

Das Auftauchen der ethnischen Frage in Chile 74

Eleonore von Oertzen

Man trägt wieder Unterschied - Der Rassismus der weißen Elite in Peru 89

Juliana Ströbele-Gregor

Vom indio zum mestizo .... zum indio 108

John Burdick

Der Mythos der Rassendemokratie 128

John Burdick

Die brasilianische Bewegung für schwarzes Selbstbewußtsein 143

Klaus Rummenhöller und Heinrich Helberg Chávez

Indianer unter Naturschutz - Ökologische Fremdbestimmung am Beispiel des Nationalparks Manu (Peru) 155

Hans-Rudolf Wicker

Ethnische Grenzziehung und Markt - Das Beispiel der Paî-Taviterâ in Ostparaguay 171

II Berichte 189

Barbara Töpper

Argentinien 1991: die Wende mit dem Plan Cavallo? 191

Thomas Fatheuer

Die große Kunst der Zerstörung: Brasiliens Perestroika 205

Wolfgang S. Heinz

Menschenrechte in der neuen brasilianischen Demokratie 218

Alrich Nicolas

Wirtschaftskrise und Ende des Caudillismo in der

Dominikanischen Republik 228

Ralf Leonhard

El Salvador: Der schwierige Anfang des Friedens 236

Alrich Nicolas

Militärputsch und politische Sackgasse in Haiti 246

Bert Hoffmann

Kubanische Ausweglosigkeiten 256

Ingo Bultmann

Mexiko: Das offizielle Ende einer versteinerten Revolution 266

Ulrich Goedeking

Peru: Bewegen und bewegt werden - Vom öffentlichen Umgang

mit Krise und Gewalt in Lima 277

Henk Raijer

Keine Wirtschaftshilfe ohne Ende der Surinam-Connection 288

Dorothea Melcher

Venezuela 298


Editorial: Die Wilden und die Barbarei

Auf einer Konferenz, die den offiziellen Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag der »Entdeckung« Amerikas durch Kolumbus entgegentreten sollte, haben Vertreter indianischer Völker den Vorschlag gemacht, den 11. Oktober zum Feiertag zu erklären und an diesem Datum in Trauer des 11. Oktobers 1492 zu gedenken, des letzten Tages, bevor die europäischen »Entdecker« ihren Kontinent als »neue Welt« der alten einverleibten und sie selbst zu »Wilden« stempelten. Unter dem Vorwand, es mit Kannibalen, ja überhaupt nicht mit vollwertigen menschlichen Wesen zu tun zu haben, gingen die Eroberer daran, in kürzester Frist eine Welt zu zerstören: sie entvölkerten ganze Inseln und Landstriche, zerstörten kleine Dörfer ebenso wie die Hauptstädte der großen Hochkulturen und quälten, mordeten und verschleppten die Bewohner. Nachdem manche indianischen Völker anfangs geglaubt hatten, es bei den Fremden mit göttlichen Wesen zu tun zu haben, mußten sie bald ihrerseits zu der Überzeugung gelangen, in die Hände von Wilden und Barbaren gefallen zu sein.

Heutige kritische Interpretationen der zeitgenössischen Quellen lassen ahnen, daß neben kultureller und religiöser Borniertheit auch Neid und die Abwehr eigener verdrängter Sehnsüchte das europäische Konzept von den »Wilden« mit geprägt haben, das von Anfang an ambivalent war. Schon in den frühesten Berichten über die »Indianer« steht neben ihrer angeblichen »Primitivität« die »Sanftmut«, neben der wilden Ungezähmtheit die paradiesische Unbefangenheit. Den amerikanischen Ureinwohnern des 16. und 17. Jahrhunderts konnte es allerdings recht egal sein, welches Motivationsgemisch der Brutalität zugrunde lag, mit der sie zu Tausenden ermordet, bestialisch gefoltert, zu Zwangsarbeit verschleppt wurden. Was hätte ihnen die Erkenntnis genützt, daß es der Furor der spanischen Reconquista gegen die Mauren war, der ihre Tempel niederriß und alle materiellen Zeugnisse ihrer Religion zu zerstören trachtete? Bis heute, 500 Jahre später, hat kein offizieller Vertreter der beteiligten europäischen Nationen, allen voran Spanien und Portugal, ein Wort des Bedauerns über diesen vielfachen Völkermord über die Lippen gebracht.

Der Begriff indio, der dazu diente, die einheimische Bevölkerung von den europäischen Eroberern zu scheiden, konstruierte eine Gemeinsamkeit unter den so Bezeichneten, die zunächst mit der Realität kultureller und ethnischer Unterschiedlichkeit der amerikanischen Völker nichts zu tun hatte. Erst die Erfahrung von Gewalt und rassistischer Verachtung ließ eine »indianische Identität« entstehen.

Die Brutalität der Eroberer richtete sich allerdings nicht nur gegen die Ureinwohner. Wo sie sie ausgerottet hatten und ihnen nun die Arbeitskräfte fehlten, zögerten sie nicht, afrikanische Männer und Frauen in die entvölkerten Gebiete zu verschleppen und sie als Sklaven auf den Baumwoll- und Zuckerrohrfeldern, in den Zuckersiedereien, als Holzfäller und Goldwäscher arbeiten zu lassen.

Rassismus hat immer auch mit Angst zu tun. Die Gesetze der Westindischen Inseln wurden umso rassistischer, das heißt stärker an der Hautfarbe orientiert, je mehr die Zahl der »freien Farbigen« zunahm. Sobald es nicht mehr selbstverständlich war, daß ein Schwarzer Sklave sein mußte, erwuchs die Notwendigkeit, alle Menschen dunkler Hautfarbe grundsätzlich zu diskriminieren, um auf diesem Wege auch die Sklaverei zu rechtfertigen, auf die man unter keinen Umständen verzichten konnte und wollte. Insofern ist Rassismus nicht nur die Voraussetzung, sondern ebensosehr auch eine Folge der Unterdrückung.

In einer Gesellschaft, die zu ihrer eigenen Rechtfertigung auf der unablässigen Betonung ethnischer Differenzen beruhte, mußte jede Tendenz zur Vermischung als höchst gefährlich erscheinen, obgleich es in der Regel gerade die Willkür der Herrschenden war, die solche Vermischung in Form von Vergewaltigungen praktizierte. Andererseits bot das Überschreiten ethnischer Grenzen wenigstens den Nachkommen häufig eine Perspektive auf sozialen Aufstieg. Die Ambivalenz von Anpassungsambitionen und Verachtung, die die Situation von Mestizen in einer rassistischen Gesellschaft ausmacht, prägte dauerhaft das Selbstverständnis großer Teile der Bevölkerung des Kontinents.

In den letzten Jahren ist in der Bundesrepublik zunehmend häufiger von dem Projekt und den Herausforderungen einer »multikulturellen Gesellschaft« die Rede; man entwirft das Idealbild eines weitgehend friedlichen Nebeneinanders verschiedener ethnischer Gruppen mit unterschiedlichen religiösen und kulturellen Traditionen und plädiert für den Verzicht auf staatliche Integrationsbemühungen. An den amerikanischen Gesellschaften (einschließlich der USA) läßt sich ablesen, wohin dieses Projekt führen kann: sie leben - von kurzfristigen Integrationsschüben abgesehen - »Multikulturalität« in diesem Sinne seit fast einem halben Jahrtausend, und im Verhältnis von Weißen und Nichtweißen hat das zu einer festgefügten sozialen Hierarchie geführt, in der Hautfarbe und Sprache nachhaltigen Einfluß auf die Klassenlage und die Aufstiegschancen haben.

Die mexikanische Revolution zu Beginn dieses Jahrhunderts schien als erste mit der unheilvollen Tradition der Verachtung alles Indianischen und der Verehrung alles Europäischen zu brechen. Die neu zu schaffende »Mexikanität« sollte auf drei Säulen ruhen: der indianischen Vergangenheit, dem spanischen Erbe und der mestizischen Gegenwart. Die bis dahin mit rassistischen Argumenten begründete »Rückständigkeit« der indianischen Bevölkerung wurde als aufgezwungen entlarvt, die technischen, wissenschaftlichen und politischen Leistungen der vorkolonialen Hochkulturen wurden ins Bewußtsein gerückt. Der peruanische Marxist Mariátegui und die »Indigenisten« griffen diese Überlegungen auf, die fast auf dem ganzen Kontinent Verbreitung fanden. Mit der Aufwertung der indianischen Vergangenheit entdeckte man auch die Qualitäten neu, die indianisches Überleben über Jahrhunderte der Unterdrückung möglich gemacht hatten. Die Geschichte einheimischer (und schwarzer) Rebellionen erfuhr eine Neubewertung als legitimer und oft heroischer Widerstand; man begann, die Anpassungsfähigkeit und Kreativität synkretistischer religiöser Praktiken und sozialer Institutionen zu würdigen.

In dem Maße jedoch, wie die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft der überwiegend ländlichen indianischen Bevölkerung konstatiert wurden, wuchs auch der Druck auf sie, sich den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen anzupassen. Denn das zukünftige Mexiko (Bolivien, Peru...) sollte selbstverständlich irgendwann einmal den entwickelten westlichen Industriegesellschaften nicht mehr nachstehen. Zu den erklärten Zielen des mestizischen Projekts gehörte die Absicht, dem aus der politischen Unabhängigkeit hervorgegangenen Staat endlich seine Nation zu geben, das heißt die disparaten Teile (geographisch ebenso wie sozial) zusammenzuführen und zu einem neuen Ganzen zu verschmelzen. Bei aller Kritik an den westlichen Industriegesellschaften, insbesondere im Hinblick auf ihre Rolle in Lateinamerika, war das Modell einem Entwicklungsbegriff verhaftet, der seine Vorbilder in eben diesen Gesellschaften fand.

Für die indianischen Völker war die Botschaft von der mestizischen Nation ambivalent: für die Anerkennung der indianischen Vergangenheit verlangte sie die Aufgabe ethnischer Eigenart in der Gegenwart; für das Versprechen staatsbürgerlicher Gleichberechtigung und sozialstaatlicher Versorgung sollte mit dem Verzicht auf regionale oder kulturelle Sonderwege bezahlt werden. Das Schlagwort »Wir sind alle Mestizen« aus dem Munde derer, die bis dahin den Anspruch auf soziale Führungspositionen auch - mindestens implizit - mit ihrer hellen Hautfarbe begründet hatten, beraubte die Angehörigen nationaler Minder- und Mehrheiten der Möglichkeit, auch ihre Erfahrungen ethnischer und rassistischer Unterdrückung in die Gesamtheit des neuen nationalen Selbstverständnisses einzubringen.

Das Modell der mestizischen Gesellschaft kann inzwischen in ganz Lateinamerika als gescheitert gelten. Nirgendwo konnten die Versprechen auf politische Gleichheit, materiellen Fortschritt und soziale Sicherheit eingelöst werden. Der Zerfall dieses Projekts hat unter anderem zur Folge, daß sich die Marginalisierten »re-ethnisieren«, das heißt, daß sie ihre ethnischen Traditionen und Besonderheiten wiederentdecken bzw. neu »erfinden«. Dazu hat der mestizische Diskurs durchaus beigetragen: Mit der Aufwertung der indianischen Vergangenheit, mit dem Versprechen staatsbürgerlicher Rechte und der Schaffung oder Unterstützung von Basisorganisationen legte er gelegentlich die Grundlage für die Entstehung regionaler oder ethnischer Interessenvertretung. Die Anthropologen, Historiker und Sozialwissenschaftler, die mit ihren Untersuchungen die Herkunft und Zusammensetzung der jungen (oder noch zu schaffenden) Nationen begleiteten, lieferten mit ihren Ergebnissen auch denen die Argumente, die sich nach Jahren enttäuscht von diesem Projekt abwandten und sich auf ihre ethnische Eigenart zurückbesannen. Das neue Stichwort lautet »multi-ethnische Nation«. Das sandinistische Nicaragua machte den Anfang, als es nach jahrelangem blutigem Krieg den Miskito-Indianern und den afro-amerikanischen creoles der Atlantikküste regionale Autonomie zugestand. Kolumbien hat die Multi-Ethnizität inzwischen in die Verfassung aufgenommen, und selbst in Mexiko, der Wiege des mestizischen Modells, geistert dieser Begriff heute durch die Verfassungsdebatte.

Es wäre allerdings verfehlt, wollte man diese Entwicklung als Folge der Einsicht in die Irrtümer des mestizischen Modells und als Ergebnis einer gesellschaftlichen Entscheidung für ethnische Vielfalt deuten. Vielmehr stellt sich bei näherer Betrachtung immer drängender die Frage, ob es, gerade nach dem Scheitern des mestizischen Projekts, überhaupt noch sinnvoll ist, in Lateinamerika von »Gesellschaften« zu sprechen: von sozialen Zusammenhängen im nationalstaatlichen Rahmen, die Entscheidungsprozesse moderieren und die Austragung von Interessenkonflikten regeln können. Gleichzeitig bedeutet die Aufgabe des Experiments einer mestizischen Gesellschaft keineswegs die Absage an westliche Fortschrittsmuster. Nur den Anspruch, alle »Staatsbürger« an diesem Fortschritt beteiligen zu wollen, haben die Herrschenden zu den Akten gelegt. Dies allerdings nicht aus Respekt vor dem Willen ethnischer oder anderer Minderheiten, sondern aus der zynischen Einsicht, daß das gegenwärtig in nahezu allen lateinamerikanischen Ländern praktizierte neoliberale Wirtschaftsmodell ohnehin nur einigen wenigen Menschen Wohlstand bescheren kann - da überläßt man die anderen gerne sich selbst. Was vor 20 Jahren mit dem Begriff »strukturelle Heterogenität« bezeichnet und als korrekturbedürftiger Mangel empfunden wurde, ist heute als »ethnische Vielfalt« zu einer Errungenschaft der neuen Beliebigkeit geworden. So ist es auch kein Zufall, daß es vor allem die Forderungen nach »kultureller« Autonomie sind, die am leichtesten Gehör finden. Wenn der Staat sich ohnehin aus seiner Verpflichtung zurückzieht, ein allen Bürgern zugängliches Erziehungssystem oder eine für alle erschwingliche Gesundheitsversorgung bereitzustellen, kann es ihm egal sein, ob in den der »Privatinitiative« der Eltern überlassenen Schulen auch in indianischen Sprachen alphabetisiert wird und ob man in Ermangelung von Arzt und Krankenhaus wieder zu traditionellen Heilmethoden greift. Wenn diejenigen, die im freien Spiel der Marktkräfte ohnehin keine Chance haben, zu vorkapitalistischen Formen des Austausches und der gegenseitigen Hilfeleistung zurückkehren und damit vor der völligen Verzweiflung bewahrt werden - umso besser. Die allerorts aus dem Boden sprießenden sogenannten »Nicht-Regierungs-Organisationen« legen nicht nur Zeugnis ab für erfreuliche Tendenzen zur Dezentralisierung und wachsenden Autonomie gegenüber zentralstaatlicher Gängelei - sie sind auch Indiz dafür, daß sich fast überall in Lateinamerika die Herrschenden von der Vorstellung verabschiedet haben, es gebe noch so etwas wie eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung des Staates. Jeder ist seines Glückes Schmied und kann machen, was er will, wenn und solange er nicht mit machtvollen Interessen in Konflikt kommt. Sobald es nämlich um den Schutz indianischer Territorien geht, um die Kontrolle umweltzerstörender Produktionen oder die Zurückdrängung von Holzhändlern oder Viehzüchtern, stellt sich oft genug heraus, daß das Versprechen der multi-ethnischen Vielfalt nicht einmal das Papier wert ist, auf dem es steht.

Dennoch haben sich viele indianische Organisationen dieses neue Projekt zu eigen gemacht. Angesichts der Unmöglichkeit, von ihren Staaten Schutz oder Unterstützung einzufordern, scheint anerkannte Multi-Ethnizität zumindest die Chance zu bieten, mit eigenen Organisationen und Forderungen an eine nichtstaatliche bzw. überstaatliche Öffentlichkeit zu treten und damit Druck auf ihre nationalen Regierungen auszuüben.

Als vor etwa einem Vierteljahrhundert lateinamerikanische Ökonomen und Sozialwissenschaftler versuchten, historische Erklärungen für die spezifische Entwicklung ihres Kontinents zu finden, vor allem dafür, weshalb er sich von seinem Ziel, wirtschaftlich, sozial und politisch europäisches oder nordamerikanisches Niveau zu erreichen, immer weiter zu entfernen schien, gelangten die meisten von ihnen, bei aller Unterschiedlichkeit ihrer wissenschaftlichen und politischen Grundannahmen, zu der Erkenntnis, daß die lateinamerikanische nicht ohne die europäische Entwicklung zu verstehen sei, daß beide seit der »Entdeckung« Amerikas untrennbar miteinander verbunden seien, dies aber nicht in einem ausgeglichenen Austauschverhältnis, sondern unter der Bedingung der Abhängigkeit der lateinamerikanischen Wirtschaften. Diese These in ihren unterschiedlichsten Varianten wurde seinerzeit nicht nur heiß debattiert, sondern von manchen auch schlankweg bestritten. Heute kann niemand leugnen, daß Lateinamerika Netto-Kapitalexporteur ist, daß die Bewohner des Kontinents mit der Bewohnbarkeit ihrer Umwelt, mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben für die Schattenseiten der weltweiten kapitalistischen Entwicklung bezahlen, ohne je in den Genuß des von ihr versprochenen materiellen Wohlstandes gekommen zu sein. Aber so unbestritten diese Tatsache inzwischen ist, so banal scheint sie auch zu sein. Niemand macht sich die Mühe, sie zu bezweifeln, aber sie kann auch keine Empörung mehr wecken. Selbst lateinamerikanische Politiker haben längst darauf verzichtet, sie gegenüber den Industrienationen und ihren internationalen Organisationen ins Feld zu führen, um Ansprüche auf Hilfen, Kredite oder Moratorien daraus abzuleiten. Mehr als das: was heute für den Einzelnen gilt, gilt auch für ganze Länder und Weltregionen. Wer auf der Strecke bleibt, ist selbst schuld. Nach diesem Prinzip ist die Analyse von Abhängigkeitsverhältnissen durch die Suche nach »endogenen Entwicklungshindernissen« abgelöst worden.

Nach dem endgültigen Scheitern des mestizischen Nationalismus in Lateinamerika und dem Zerfall der staatssozialistischen Planwirtschaften scheint widerstandslose Unterwerfung unter die »Gesetze« des kapitalistischen Marktes (die in Wahrheit die Gesetze der stärksten kapitalistischen Volkswirtschaften sind) die einzige Option. Und das, obgleich diese Strategie noch keinem lateinamerikanischen Land je den Einstieg in eine dauerhafte Entwicklung ermöglicht hat. Selbst Chile, das sein konventionelles Rohstoffexportmodell als Vorbild für den ganzen Kontinent zu präsentieren versuchte, gerät damit in erste Schwierigkeiten (taz vom 19.5.92). Es wäre ja auch nicht einzusehen, warum das bekannte Problem der sich verschlechternden terms of trade Kiwis und Weintrauben weniger betreffen sollte als Kaffee und Bananen.

Vor drei Jahren beschrieb Michael Ehrke in diesem Jahrbuch Lateinamerika als »Verlierer der Weltwirtschaft«, die er als »Nullsummenspiel« definierte, und kam zu dem Schluß: »Die letzten sieben Jahre haben gezeigt, daß die kapitalistischen Wirtschaften Lateinamerikas unter dem Druck der Auslandsverschuldung nicht mehr steuerbar sind, daß eine Krise in der zweiten Potenz vorliegt, die auch die Instrumente der Krisenregulierung, in erster Linie den Staat, erfaßt hat.« (Ehrke 1989, S. 25) Die Krise habe »nicht nur physische, sondern auch und vor allem menschliche Ressourcen zerstört, die zu einer Wende zum Besseren hätten beitragen können.« (S. 18) Vergangenes Jahr schrieb Urs Müller-Plantenberg an dieser Stelle: »Bleibt die Marktwirtschaft in Lateinamerika so, wie sie heute als System sozialer Apartheid real existiert, dann erhalten die demokratischen Erwartungen der Massen zwangsläufig explosiven Charakter. Die Erste Welt, die den nur einseitig freien Weltmarkt reguliert und organisiert, der diese Marktwirtschaften einschnürt, wird von den Erschütterungen nicht unberührt bleiben.« (Müller-Plantenberg 1991, S. 11) Nach fast einem Jahrzehnt nahezu ungebrochenen wirtschaftlichen Niederganges fällt es schwer, noch von »Krise« zu sprechen. »Gestern standen wir noch vor dem Abgrund«, sagt man in Brasilien, »heute sind wir schon einen Schritt weiter«. Diese andernorts abgedroschene Redewendung hat hier nichts mehr von selbstironischer Überspitzung, sie ist zu einer bitterbösen Bestandsaufnahme geworden. Wer irgend kann, verläßt dieses sinkende Schiff. Nicht nur die Schlangen vor den Botschaften der USA und Kanadas werden in allen lateinamerikanischen Ländern länger und länger. In Peru haben die Nachkommen japanischer Einwanderer längst einen schwunghaften Handel mit Scheinehen und Adoptionen Erwachsener eröffnet, denn wer »Nisei«-Verwandtschaft nachweisen kann, darf sich Hoffnung auf ein Einreisevisum und eine Arbeitserlaubnis für Japan machen. Auch Europa rückt zunehmend ins Blickfeld der Auswanderungswilligen. Und die Konsequenzen lassen nicht auf sich warten: seit Ende 1991 müssen zum Beispiel Peruaner für die Einreise nach Spanien ein Visum vorweisen.

Was aber wird aus jenen, die weder das Geld, noch die Beziehungen, noch auch nur die nötige Kraft aufbringen können, um sich den hoffnungslosen Verhältnissen durch Flucht zu entziehen? Für sie scheint sich die Barbarei fortzusetzen, die immer die historische Kehrseite des ungebändigten Kapitalismus gewesen ist. Barbarei in Lateinamerika heute: das sind die aufgrund generationenlanger Unterernährung kleinwüchsigen "Rattenmenschen" in Brasilien, das sind die guatemaltekischen Sechsjährigen, die von Todesschwadronen gejagt, gefoltert und bestialisch ermordet werden, das sind ganze Landstriche, die niedergewalzt, abgebrannt und durch Industriemüll unbewohnbar gemacht werden. Barbarei ist das Tauziehen um wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht, solange sich erst einmal »nur« in Südchile die Fälle der tödlichen Hautkrebserkrankungen vervielfachen. Zur Barbarei gehören die Polizisten, die mit Dienstwagen und -waffen am Straßenrand ahnungslosen Bürgern auflauern, um sie auszurauben, aber auch das Sendero-Kommando, das eine Basisaktivistin und gewählte Bürgermeisterin eines Elendsviertels von Lima mit einer Dynamitladung zerfetzt.

Wenn nach der Perspektive lateinamerikanischer Gesellschaften gefragt wird, ist heute häufig der Begriff der »Anomie« zu hören, die Warnung vor einem Krieg »aller gegen alle«. Diese Formulierung ist mißverständlich, denn sie verdeckt, daß keineswegs alle gleich gefährdet sind, der um sich greifenden, sich verallgemeinernden Gewalt zum Opfer zu fallen. Niemand befürchtet im Ernst, daß die Angehörigen der weißen Eliten auf ihren Tennisplätzen aufeinander losgehen. Deregulierung und Entstaatlichung, die sich bis auf die Privatisierung der Gewaltausübung erstrecken, treffen zunächst einmal die Schwächsten (»Frauen und Kinder zuerst«) und die Ärmsten - und die sind in der übergroßen Mehrheit nicht weiß, sondern braun oder schwarz.

Jahrzehnte mestizischen Diskurses haben Konzepte, Sprech- und Verhaltensweisen geprägt und Spuren hinterlassen, die nicht ohne weiteres zu verwischen sind. Ausländische Paare mit Adoptionsabsichten werden von der Sozialarbeiterin eines peruanischen Waisenhauses gewarnt: »Die Kinder, die wir hier vermitteln, sind aber ziemlich mestizisch«. Also nicht so mestizisch wie »wir alle«, sondern noch ein bißchen mehr. Das Wort indio hätte sie in diesem Zusammenhang nicht über die Lippen gebracht. Der Begriff gehört sich nicht mehr, aber das Konzept ist noch da, ebenso wie die Wahrnehmung dafür.

Der nordamerikanische Journalist und Nestor der oral history, Studs Terkel, läßt in seinem neuesten Buch »Race. How Blacks and Whites Think and Feel About the American Obsession« Nordamerikaner aller Hautfarben über ihre Erfahrungen mit der eigenen und den anderen ethnischen Gruppen sprechen. Dabei wird deutlich, daß es im heutigen Amerika nicht möglich ist, einem Menschen zu begegnen, ohne von seiner Hautfarbe Notiz zu nehmen. Eine weitere erschütternde Entdeckung des Buches ist die Tatsache, daß nach nunmehr dreißig Jahren schwarzer Bürgerrechtsbewegung die kulturelle Kluft zwischen schwarz und weiß nicht schmaler geworden ist, ja daß sie sich seit Beginn der achtziger Jahre stetig verbreitert. Bei allen Unterschieden zwischen Nord und Süd lassen sich gerade diese beiden Beobachtungen auch auf lateinamerikanische Verhältnisse übertragen.

Im April 1992 wurden in Kalifornien vier weiße Polizisten freigesprochen, nachdem sie einen schwarzen Autofahrer brutal mißhandelt hatten. Der schwarze Prediger und ehemalige Anwärter auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur, Jesse Jackson, kommentierte bitter: »Für uns gibt es in diesem Land keine Gerechtigkeit.« Die zornige Hoffnungslosigkeit dieses Satzes dürfte auch die Gemütsverfassung vieler Indianer und Schwarzer in Lateinamerika wiedergeben, die es nach all den gebrochenen Versprechen nun aufgegeben haben, von der weißen und mestizischen Gesellschaft auch nur Respekt vor ihren elementarsten Rechten zu erwarten.

Mit dem Scheitern des mestizischen Projekts und seinen vielfältigen Folgen beschäftigen sich die meisten Beiträge dieses Bandes. Den Anfang macht Lioba Rossbach, die am Beispiel der pazifischen Chocó-Region aufzeigt, wie die Neudefinition Kolumbiens als multi-ethnische Nation regionale Bevölkerungen veranlaßt, sich als ethnische Gruppen zu »erfinden« und vormals von nationalen Institutionen als unerheblich eingeschätzte kulturelle Eigenarten in politische Argumente zu verwandeln. In der Verteidigung ethnischer Besonderheiten gegenüber zentralstaatlichem Zugriff können dabei Indianer und Schwarze trotz historischer Konflikte gemeinsame Interessen entdecken und zu neuen Formen punktueller Zusammenarbeit finden.

Auch in Mexiko wird das Vorhaben diskutiert, im Zuge einer Verfassungsreform dem Bekenntnis zur multi-ethnischen Nation konstitutionellen Rang zu geben. Wolfgang Gabbert zeigt auf, welcher Weg seit der Revolution zurückgelegt wurde und wie der mexikanische Staat selbst die argumentativen und organisatorischen Grundlagen für das indianische Selbstbewußtsein gelegt hat, das sich heute zu artikulieren beginnt. Er macht aber gleichzeitig deutlich, daß das Eingeständnis ethnischer Vielfalt den Bereich der Ökonomie sorgfältig ausspart: Die mexikanische Agrarpolitik ist weit davon entfernt, die Interessen der indianischen Landbevölkerung zu berücksichtigen.

Wie eine indianische Bewegung die Forderung nach Multi- Ethnizität zu ihrem eigenen politischen Projekt macht, zeigt Erwin Frank am Beispiel Ekuador. Anhaltende ethnische Diskriminierung hat mitproduziert, was die ihr zugrundeliegende Ideologie immer schon behauptete: eine sich selbst als indianisch bestimmende Bevölkerungsmehrheit, die nun als solche die politische Bühne betritt. Der jüngste Wandel im Charakter der indianischen Bewegung dieses Landes vom »linken« Indigenismus zum radikalen Indianismus läßt sich auch als Übergang vom »indio an sich« zum »indio für sich« interpretieren.

Mit José Bengoa kommt einer der chilenischen linken Intellektuellen zu Wort, die sich für eine Mitarbeit in der Regierung Aylwin entschieden haben, und zwar in einem Bereich, wo im Gegensatz zur Fortführung der von der Diktatur vorgeprägten Wirtschafts- und Sozialpolitik tiefgreifende Veränderungen immerhin denkbar erscheinen. Bengoa (der übrigens das wichtigste Werk zur Geschichte der Mapuche geschrieben hat) koordiniert die neugeschaffene Sonderkommission für indianische Völker, die direkt dem Präsidenten untersteht; er war maßgeblich an der Ausarbeitung des Entwurfs zu einem Gesetz beteiligt, das den Status der ethnischen Gruppen in Chile neu bestimmen soll. Fortschritte bei der Schaffung eines multikulturellen Selbstverständnisses der chilenischen Gesellschaft gefährden das »Modell Chile« nicht unmittelbar und geben zudem der Regierung einen erwünschten reformerischen Anstrich. Bengoa schildert die Konjunktur, in der die Wiederbelebung des ethnischen Widerstandes möglich wurde, und trägt sehr bedenkenswerte Argumente für eine Regierungspolitik vor, die mit einer bewußt gestalteten »Modernisierung« unabdingbare Voraussetzungen für eine Fortexistenz der indianischen Völker schaffen will.

Von den Opfern zu den Tätern: Eleonore von Oertzen untersucht das Selbstverständnis der weißen Oberschicht in Peru und betrachtet deren Rassismus als Bestandteil eines »Habitus«, eingebettet in ein Gefüge von Werturteilen und Verhaltensmustern, die das tägliche Leben und den Umgang der ethnischen Gruppen miteinander prägen. Sie zeigt, daß auch mehr als zehn Jahre mestizischer Diskurs und nationalistische Wirtschaftspolitik den eingefleischten Vorurteilen nicht viel anhaben konnten - schon gar nicht, wenn der Trend der Gegenwart in Richtung auf die offensive Betonung sozialer Differenzen läuft.

Auch Bolivien konnte zu den Exponenten des mestizischen Projekts gezählt werden, bis die 1985 eingeleitete neoliberale Wirtschaftspolitik das Akkumulations- und Hegemoniemodell des »revolutionären Staates von 1952« aufkündigte. Juliana Ströbele-Gregor sieht darin die endgültige Abkehr von der Integrationsideologie, mit der eine mestizische Gesellschaft ihren Rassismus übertüncht und die indianische Bevölkerung einzubinden versucht hatte. Dieser Ideologieverlust hat die Betonung kultureller Eigenständigkeit verstärkt und ethnisch-politische Organisationen zum Bezugspunkt für immer größere Teile der Bevölkerung werden lassen. Doch die unterschiedlichen Lebenswelten und Identitäten von andinen Bauern und Ethnien des Tieflandes standen bisher einem einheitlichen Vorgehen gegenüber dem Staat und der Formulierung eines gemeinsamen politischen Projektes entgegen.

Die Verschiedenartigkeit der Erfahrungen in einer rassistischen Gesellschaft und die Vielfalt ethnischer Bewußtwerdungsprozesse stehen auch im Mittelpunkt des folgenden Artikels, in dem der nordamerikanische Anthropologe John Burdick die Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung der brasilianischen Schwarzen schildert: viele Organisationen stützen sich vor allem auf akademisch gebildete Schwarze, die bitter erfahren mußten, daß ihre Hautfarbe ihre Aufstiegshoffnungen zunichte machte, nur selten aber erreichen sie schwarze Arbeiter oder Elendsviertelbewohner. Aber auch diese glauben schon längst nicht mehr an das mestizische Projekt in Brasilien, das Burdick den »Mythos der Rassendemokratie« nennt. Die Rede von den konfliktfreien Beziehungen zwischen weiß, braun und schwarz, weil es sich ja dabei angeblich höchstens um graduelle Unterschiede handele, konnten sich am ehesten die Mestizen bzw. Mulatten zu eigen machen, weil sie ihnen half, die Unterschiede zur traditionellen weißen Oberschicht wenigstens andeutungsweise zu verwischen. In vielen Ländern, so auch in Brasilien, war dies aber mit einer schroffen Abgrenzung gegenüber deutlich dunkleren Hautfarben verbunden. Anhand des historischen Vergleichs zwischen Brasilien und Kuba untersucht Burdick in einem weiteren Aufsatz, weshalb sich die Mulattenbevölkerung in einem Fall (Brasilien) wirtschaftlich, sozial, in Bildung und Selbstverständnis so stark von den Schwarzen unterscheidet, während sie in Kuba in fast allen Auseinandersetzungen auf seiten der schwarzen Bevölkerung zu finden war. Die Wurzeln für diese Differenz reichen zurück zu den Zeiten der Sklaverei und hängen davon ab, ob und wie weit die Sklavenhalter auf die Dienste freier Farbiger angewiesen waren. Burdick zufolge greift aber auch unter den brasilianischen Mulatten die Einsicht um sich, daß sie mit den Schwarzen mehr gemeinsam haben, als viele sich bisher eingestehen mochten.

Der multi-ethnische Staat meint mit seiner gleichgültigen Anerkennung ethnischer Vielfalt keineswegs die Respektierung der Bedürfnisse der indigenen Bevölkerung. Die letzten beiden Beiträge in diesem Band befassen sich mit den Auseinandersetzungen indianischer Völker, die nicht nur an bestimmten ökonomischen, sozialen und kulturellen Traditionen festhalten wollen, sondern außerdem auch selbst bestimmen möchten, wie weit und in welcher Weise sie an der Modernisierung der sie umgebenden Gesellschaft teilhaben. Am Beispiel des Naturschutzparks Manu in Peru schildern Klaus Rummenhöller und Heinrich Helberg Chávez, wie die in diesem Park lebenden Indianer zu Opfern einer traditionellen, auf ökologische Kriterien fixierten Naturschutzpolitik werden. Die Einrichtung des Naturschutzgebietes hat ihre bisherigen Lebensformen nachhaltig verändert und ihnen neue Realitäten vor Augen geführt, aber es wird ihnen nicht zugestanden, sich mit diesen Realitäten auseinanderzusetzen und selbst zu entscheiden, welche davon sie in ihre traditionelle Lebensweise übernehmen wollen. Dieser Politik stellen die Autoren andere, von den indianischen Organisationen entwickelte Naturschutzmodelle gegenüber, die von dem Grundsatz des »Schutzes der Schützer« ausgehen und geschützte Territorien nach den Bedürfnissen und unter Einbeziehung der dort lebenden Völker definieren wollen.

Hans-Rudolf Wicker zeigt schließlich ein positives Beispiel: den Einzelfall eines Guaraní-Volkes in Paraguay, dem es gelang, Landtitel und damit die grundlegende Sicherung für die materielle und spirituelle Fortexistenz der Gesellschaft zu erhalten. Vor diesem Hintergrund konnte sich ein souveräner Umgang mit den umgebenden ökonomischen Gegebenheiten ebenso wie mit dem ideologischen Einfluß der nationalen Gesellschaft entwickeln. Marktbeziehungen werden flexibel wahrgenommen, ohne dadurch die Subsistenzproduktion zu gefährden; die traditionellen Formen sozialer Organisation haben sich bisher auch in der Lage gezeigt, neu auftretende Konflikte zu regeln. Die Überzeugungskraft dieses Beispiels läßt beinahe vergessen, daß es in der hartnäckigsten Diktatur des Kontinents angesiedelt war.

Im zweiten Teil folgen - wie in jedem Band dieser Reihe - Berichte zur gesellschaftlichen Entwicklung in ausgewählten Ländern. Wenn von Barbarei in Lateinamerika die Rede ist, denken sicherlich viele zuerst an die an Zahl und Grausamkeit ständig zunehmenden Menschenrechtsverletzungen in diesem Kontinent. Ein irreführender Begriff insofern, als damit längst nicht mehr nur die Verletzung von Rechten gemeint ist, als vielmehr auch die vorsätzliche, kaltblütige und oft auf das Gräßlichste ausgefeilte Verletzung von Menschen. Ein solches finsteres Kapitel von Entführungen, Folter, und staatlichem Mord findet sich in der jüngsten Geschichte oder sogar der Gegenwart fast aller Länder Lateinamerikas. Menschenrechtsverletzungen sind auch keineswegs mehr nur ein Problem diktatorischer Verhältnisse: Auch Parlamente und demokratisch gewählte Regierungen erweisen sich zunehmend als unfähig, ihre »Sicherheitskräfte« oder auch paramilitärische Todesschwadronen unter Kontrolle zu halten. Um diesem Problem Rechnung zu tragen, enthält der vorliegende Band einen Bericht über die Lage der Menschenrechte in Brasilien, zusätzlich zum gewohnten Länderbericht.

Zu guter Letzt sei allen gedankt, die als Autorinnen und Autoren der Artikel oder Länderberichte oder als Übersetzer an diesem Band mitgewirkt haben.

Eleonore von Oertzen


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